Holger Schwenke : Lange Linien. Gedichte. Simili, Berlin 1990.
Lange Linien
>> Lange Linien : Der Gedichtband enthält 44 Gedichte. Ausgestellt ist hier eine Auswahl von 12 Gedichten.
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Fast alle guten Dinge ordnen sich wie Namen
und sind doch nicht genauso unterscheidbar oder
ebenso zu trennen, denn zwischen ihnen ist noch
vieles seiner Art nach oder als solches gar nicht da.
Und wie immer es sich auch verhält, weder
werden sie bestimmt noch bestimmen sie es selber.
Nur neue Namen wechseln ihren Raum.
Was sichtbar wird steht manchmal offen da wie
ein berühmter Berg, und draußen ist ins abgebildete
Verlangen längst ein leeres Zeichen eingesetzt.
Nicht nur im Pomp des Buches und im
vollen Wert der filmischen Welt wendet
sich der Blick in andere Sprachen.
Zwingend ist daher, Zeichen zu zitieren.
So ist vielleicht mal ein Ja oder Nein ausge-
sprochen worden, oder es ist nur noch immer
und für alle Zeiten bloß aus größter Ent-
fernung wie ein dauernder Gesang zu hören.
Innen im Gehör ist auch der Drang des Schreis
gegen den eigenen Schrei gestellt.
Jetzt sagt sogar das Echo selbst was es nur hören kann.
Es geht in die nahen Räume erst Raunen und
dann das Ende des Redens und daraufhin
die ungleich traumhaft stillen Stimmen.
Wieder und wieder kehrt sich von allen Seiten
ein Wort der Außenwelt zu.
Und langsam dehnt sich die Mitte in den Linien.
Nur wenig bietet Schutz und Schatten, Kühle
und Flucht; eine leichte Ankunft nur für den,
der wartet und vorübergeht.
Und der Weg vergeht wie die Sonne.
Wie aus verschiedenen Welten singen manche
von den Dingen und verbergen die Vergleiche,
denen sonst nichts gleicht.
Wer nämlich seine Seele segnen will, sagt
immer nur den einen ersten Satz.
Und fremde Tänze tanzen heilt es dann.
Vielleicht das Fest noch, das nicht aus der
Macht der Phantasie entsteht wie aus einem
allerletzten Willen, sondern aus Entsprechung
und der Freude, die dann kommt.
Wenn nämlich auch das Ziel verzichtet,
wird die Zeit zuletzt verloren sein.
Und Warten heißt schon Wissen.
Wie sollte davon noch zu reden sein, und
welche Namen können es begleiten, auch
die Entdeckungen und die Vergleiche
gehen aus wie eine leere Seite.
Nur wer noch weitergeht und dabei alles
läßt wies ist, kann dies und anderes auch sagen.
Denn wenn es gut ist dazusein, dann jetzt.
Wenn im Wenden leerer Segel
wie im Scheitern einer Welt
es unter anderem auch am Nichts
der Namen und Natur gebricht.
Wenn angehaltne Wahrheit will, nur daß sie
dauert, sorgen wir uns um die vollen Formen.
Zuviel ist ähnlich und Vergleiche lohnen kaum.
Das Draußen ist manchmal klar wie
jetzt, als wäre es vielleicht Eis oder
Schnee. Genauso ergeht es dem, was über-
haupt noch sichtbar ist und allen,
die alles vergessen.
Denn was durchsichtig scheint wie der
stimmlose Laut dauert wie der Abschied
der Zeichen noch an.
Es spricht in Momenten wie diesen der Wind
und die Farben flüchten vor dem Frost.
Entlang der Linie von Athen bis Amster-
dam wohnt zwar nicht in einem Tempel
aber im Haus jemand, der was anderes
im Sinn hat als die Frage
Wehe was wird werden.
Und also wird er, wer es auch sei,
vielleicht noch etwas anderes tun.
Denn auch das Wissen ist in lange Linien einge-
tragen und fehl am Platz an jedem Punkt.
Was ereignet sich und woher kommt es
denn; wenn manches sich auch plötzlich
und unbedacht ereignet, so ist doch
nichts dergleichen dazu angetan,
Gelegenheiten ungenützt zu lassen.
Denn alles, was geschieht, ist hier.
Und dort - wo sonst - ist alles offen.
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